10. Juli 2017

EuGH präzisiert Anforderungen an Behörden bei Erteilung von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen, so EuGH, Urteil vom 22.06.2017, Rechtssache C-49/16 (Unibet) und wiederholt, dass Art. 56 AEUV zur Dienstleistungsfreiheit deutschem Recht vorgeht.


Der EuGH befasste sich in der Rechtssache mit der Tragweite der so genannten Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV. Er stellte klar, dass die Dienstleistungsfreiheit die Abschaffung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verlange, selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelte, wenn damit die entsprechende Tätigkeit weniger attraktiv gemacht werden könnte.

Der EuGH sagt (Rd.-Nr. 33), dass nationale Rechtsvorschriften, die die Veranstaltung von Glücksspielen ohne vorab erteilte behördliche Erlaubnis verbieten, eine Beschränkung des in Art. 56 AEUV verbürgten freien Dienstleistungsverkehr darstellen (siehe Urteil vom 30.04.2014, Pfleger u. a. C-390/12, Rd.-Nr. 39).

Das bedeutet, eine Beschränkung (durch einen gesetzlichen Erlaubnisvorbehalt, sprich eine Genehmigungspflicht) ist durch Art. 56 AEUV erst einmal verboten. Nur zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls können von diesem Verbot befreien, was aber von der entscheidenden Behörde in jedem Einzelfall bewiesen werden muss. 

Die Vorschrift des Art. 56 „Dienstleistungsfreiheit“ ist in Deutschland unmittelbar anwendbares Recht, da für die Europäische Union elementar. Sie überlagert damit auch alle Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrags und ist auch für den binnenmarktrelevanten Bereich der Spielhallen anwendbar. Ein unmittelbarer grenzüberschreitender Bezug ist nicht Voraussetzung! 

Dennoch wurde diese höherrangige Verbotsnorm von deutschen Behörden und ihren Sachbearbeitern bislang permanent ignoriert. Dies aber kann zur Haftung aus Amtspflichtverletzung führen und ist sogar von strafrechtlichen Relevanz (siehe dazu unten). 

Will die Behörde sich über die Norm des Art. 56 AEUV hinwegsetzen, dann muss sie bereits in ihrem Bescheid darlegen und für die Verwaltungsgerichte nachprüfbar rechtfertigen, weshalb eine Beschränkung oder Missachtung des freien Dienstleistungsverkehrs ausnahmsweise durch zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Diese Rechtfertigung obliegt der Ausgangsbehörde und kann bzw. darf ihr nicht von den Verwaltungsgerichten abgenommen werden. 

Bayerische Behörden - das wage ich zu behaupten - haben diese Darlegungs- und Beweispflicht (Rechtfertigungspflicht) in glücksspielrechtlichen Verfahren bislang in keinem einzigen Fall beachtet. Dazu sind sie auch nicht in der Lage. Denn die Behörden müssten in jedem Einzelfall konkret darlegen und gerichtlich überprüfbar beweisen, dass die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im konkrete Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und dass die nationale Regelung dazu geeignet ist, weil die eingesetzten Mittel in einem bundesweiten Maßstab kohärent und systematisch sind. 

So wurde noch nie in einem glücksspielrechtlichen Bescheid nachgewiesen, dass eine konkret verfügte Maßnahme (z. B. die zwangsweise Schließung einer Spielhalle, die verfügte Reduzierung von Geräten, die Auflagen zur Gestaltung der Spielhalle, das Verbot von EC-Automaten vor den Spielhallen, die Gewährung einer Befreiung im Rahmen einer Härtefallregelung mit lediglich 4 Jahre Geltungsdauer, das Werbeverbot u. v. a. m.) im großen Zusammenhang des Glückspielrechts systematisch und kohärent ist, wenn gleichzeitig eine permanente Präsenz hunderter Geldspielgeräte in den staatlichen Spielbanken und tausende Spielangebote im Internet bestehen, gegen welche der Staat nicht einschreitet! Und wenn gleichzeitig Spielbanken ihre Kunden mit Bussen herankarren, wenn Tausende von online-Casinos unbehelligt bleiben, wenn die Lotto-Toto-Werbung auf jedem Bus prangt und wenn ständig TV-Werbung von den staatlichen Lotto- und Totogesellschaften geschaltet wird! 

In den Rd.-Nr. 43 bis 49 konkretisiert der EuGH zusammenfassend die Voraussetzungen des EU-Rechts, damit ein System von vorher erforderlichen Konzessionen bzw. Erlaubnissen trotz des Verstoßes gegen Art. 56 AEUV ausnahmeweise gerechtfertigt ist: 

  • 41      Damit eine solche Regelung gerechtfertigt sein kann, obwohl sie von einer Grundfreiheit abweicht, muss daher nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein System von Konzessionen und Erlaubnissen für die Veranstaltung von Glücksspielen auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen, die im Voraus bekannt sind, so dass dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

  • 42      Außerdem müssen die öffentlichen Stellen, die die Konzessionen vergeben, das Transparenzgebot beachten. Auch wenn dieses Transparenzgebot, das gilt, wenn die betreffende Dienstleistungskonzession für ein Unternehmen von Interesse sein kann, das in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem diese Konzession erteilt wird, nicht unbedingt eine Ausschreibung vorschreibt, verpflichtet es so doch die konzessionserteilende Stelle, zugunsten der potenziellen Bewerber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, der eine Öffnung der Dienstleistungskonzessionen für den Wettbewerb und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2010, Engelmann, C‑64/08, EU:C:2010:506, Rn. 49 und 50).

  • 43      Darüber hinaus gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes ableitet, u. a., dass Rechtsvorschriften – vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können – klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein müssen (Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Niemand wird ernsthaften behaupten können, diese vom EuGH genannten Voraussetzungen seien in Deutschland erfüllt. Die glücksspielrechtlichen Konzessionen / Erlaubnisse wurden weder nach Kriterien vergeben, die vorher bekannt waren. Gegenüber den staatlichen Spielbanken und anderen staatlichen Glücksspielangeboten besteht eine Diskriminierung der Spielhallen und eine systematische und kohärente Praxis besteht nicht, solange der Staat das Glücksspiel im Internet weiter ungebremst zulässt, ohne hier regelnd einzuschreiten. 

Daraus folgt, dass kein glücksspielrechtlicher Erlaubnisbescheid einer bayerischen Kreisverwaltungsbehörde die Hürde des Art. 56 AEUV überwinden konnte und somit sämtliche rechtswidrig sein dürften. 

Zur Haftung des Amtswalters: 
Der EuGH hat zuletzt (in der Rechtssache C-685/15) betont, dass der handelnde Amtswalter darlegen und beweisen müsse, dass alle Voraussetzungen für die von der Behörde ausgehenden Beschränkungen im Einzelfall nicht gegen das Verbot des Art. 56 AEUV verstoßen, Der Bundesgerichtshof hat jüngst (Urteil vom 27.01.2016, 5 StR 328/15) klargestellt, dass auch Behördenmitarbeiter Täter einer Rechtsbeugung nach § 339 StGB sein können, z. B. wenn sie rechtsfehlerhaft Bußgelder verhängen.