27. September 2018

Barrierefreies Bauen - Recht-, Brand- und Denkmalschutz

Barrierefreies Bauen  -  Recht, Brand- und Denkmalschutz
Vortrag  bei der Fachtagung des Dachverbandes Integratives Planen und Bauen e.V.
vom 27.09.2018 an der Universität Stuttgart

Der Vortrag behandelt die Grundzüge des Denkmalschutzrechts im möglichen Widerstreit zu den auch sicherheitsrechtlich zu sehenden Forderungen der Vorschriften zur Barrierefreiheit und kommt zum Ergebnis, dass grundsätzlich beide Bereiche kompatibel sind. Es kommt - wie immer - auf die richtige Darstellung der Sachverhalte und die Einbeziehung aller betroffener Interessen in die Ermessensentscheidung der Behörde.

Denkmalrechtlicher Schutzauftrag

Ziel des Denkmalschutzes ist die möglichst weitgehende Erhaltung der originalen Substanz und des historischen Erscheinungsbildes. § 1 DSchG verpflichtet die Denkmalschutzbehörden, die Kulturdenkmale zu schützen und zu pflegen, auf die Abwendung von Gefährdungen hinzuwirken. § 6 DSchG fordert von den Eigentümern und den Besitzern von Kulturdenkmalen, diese im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten und pfleglich zu behandeln. Maßnahmen an einem Kulturdenkmal, die in die Substanz eingreifen oder das Erscheinungsbild beeinträchtigen können, bedürfen daher der vorherigen Genehmigung der bei der Kommune beziehungsweise bei dem Landkreis angesiedelten unteren Denkmalschutzbehörde. Ist eine Baugenehmigung erforderlich, bedarf sie der Zustimmung der unteren Denkmalschutzbehörde. Der Verfassungsgeber hat den Denkmalschutz in den Verfassungsrang erhoben (Art. 3c Abs. 2 Landesverfassung BW).

Wertungskonflikt mit den Forderungen der Barrierefreiheit

Marcus Vitruvius Pollio (genannt: Vitruv), römischer Architekt, Ingenieur und Architekturtheoretiker:

„Die Architektur gründet sich auf die Grundprinzipien firmitas (Stabilität), utilitas (Nützlichkeit, Brauchbarkeit) und venustas (Anmut).“

Im rechtlichen Bereich legen sich unsere Gesetze nur auf die Stabilität und erst seit wenigen schrittweise auch auf die Nützlichkeit (z. B. Barrierefreiheit) fest.

Der Mensch bzw. dessen menschliche Körper- und Bewegungsmaße sind hier die Bestimmer, u. zw. nicht die Idealmaße, sondern „der Mensch mit all‘ seinen psychischen und physischen Möglichkeiten“

- 10 %  der Bevölkerung zwingend erforderlich
- Lt. Wissenschaft ist Barrierefreiheit für 30 - 40 %  der Bevölkerung notwendig
- 100 %  der Bevölkerung komfortabel

Es geht nicht nur um das Älter-Werden der Gesellschaft, vergessen wir nicht die Unfallopfer; Unfallopfer kann man in jüngsten Jahren werden.

Der Gesetzgeber hat zögerlich auf die Problematik der Barrierefreiheit in den Verfassungen, Bundes- und Landesgesetzen reagiert, aber er hat reagiert, siehe:

Diese verfassungsrechtlichen Vorschriften statuieren ein subjektiv-rechtliches Benachteiligungsverbot. Unter Benachteiligung versteht man jede nachteilige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Nichtbehinderten. Dies umfasst jede Verschlechterung der Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung sowie jeden Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt, der nicht durch Fördermaßnahmen hinlänglich kompensiert wird.

Diese Verfassungsnormen garantieren Gleichheitsrechte des Bürgers und sind somit Gleichbehandlungsgebote;  sie begründen für den Einzelnen aber nicht generell unmittelbare Leistungsansprüche gegen den Staat. Ist etwa einem Menschen mit Behinderungen der Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung faktisch nicht möglich, so ergibt sich aus diesen Verfassungsnormen kein unmittelbarer Anspruch auf eine behindertengerechte Umgestaltung. Eine etwa mögliche Umgestaltung der öffentlichen Einrichtung und weitere, vergleichbare Maßnahmen wären eine Frage des Leistungsrechts.

Begrifflich setzt Benachteiligung setzt voraus, dass die Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeit tatsächlich, trotz Behinderung besteht und nur durch staatliche Maßnahmen ausgeschlossen wird.

Art. 3 Abs. 3 Satz 2 wie auch Art. 2b LV sind „Wertentscheidungen“ und bei Auslegung und Anwendung des Rechts zu berücksichtigen. Aus dem Vorbehalt des Möglichen und Bezahlbaren beim Leistungsrechts folgt, dass ein Rückgriff auf die Wertmaxime dort  erheblich restriktiver ausfällt als in klassischen Abwehrsituationen. Bei jeder behördlichen Entscheidung ist eine Abwägung mit diesen Wertentscheidungen erforderlich.

Der VGH Baden-Württemberg hat in einem Beschluss vom  01.09.2011 (1 S 1070/11, Rd.-Nr. 52) beispielsweise gesagt, dass die Belange des Klimaschutzes, die in den Staatszielbestimmungen des  Art. 20a GG und des Art. 3a Landesverfassung verankert sind, zu einer entsprechenden Gewichtung dieser Belange im der Rahmen von Ermessensentscheidungen nach den §§ 8 Abs. 1 Nr.  2 und 15 Abs. 3 DSchG BW zu berücksichtigen sind. In gleicher Weise sind bei Ermessensentscheidungen die Wertungen der Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen.

Im Rahmen von Ermessensentscheidungen nach § 40 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (LVwVfG) kann solchen verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen ein höheres Gewicht als anderen Belangen zukommen.


Behördliche Pflicht zur umfassenden Abwägung

Behörden haben ihre Entscheidungen nach pflichtgemäßem Er messen zu treffen und dabei die berührten öffentlichen und privaten Belange - darunter berührte Belange von Menschen mit Behinderungen und des Denkmalschutzes - gerecht abzuwägen.

Die Behörden müssen hier ihre Pflicht zur aktiven Förderung der Ziele des § 1 L-BGG mit der durch § 40 LVwVfG gesetzten Pflicht zum Ausgleich bringen, das Ermessen entsprechend dem Zweck der ermächtigen den Norm auszuüben, vorliegend also entsprechend dem Schutzauftrag des § 1 DSchG.

Bei der Ermessensausübung müssen die Denkmalschutzbehörden auch das Diskriminierungsverbot beachten, das wortgleich in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes und in Art, 2b der Landesverfassung verankert ist: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Was unter einer Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu verstehen ist, ist für die Denkmalschutzbehörden des Landes durch § 3 Abs. 3 L-BGG konkretisiert. Danach liegt eine Benachteiligung vor, wenn Menschen mit und ohne Behinderungen ohne zwingenden Grund unterschiedlich behandelt werden und dadurch Menschen mit Behinderungen in der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt werden.

Bei der Ermessensausübung gibt es rechtlich weder einen generellen Vorrang der Belange von Menschen mit Behinderungen noch einen generellen Vorrang der Belange des Denkmalschutzes.

Diese Rechtsgüter sind von den Behörden in ihren Entscheidungen gegeneinander abzuwägen und in einen gerechten Ausgleich zu bringen.


Allgemeine Anforderungen an die Planung baulicher Anlagen

Entsprechend § 3 Abs. 2 LBO sind in die Planung von Gebäuden die Belange von Personen mit kleinen Kindern, Menschen mit Behinderung und alten Menschen nach Möglichkeit einzubeziehen.

Die Anforderungen an die Nutzungssicherheit und die Barrierefreiheit sind insbesondere gemäß § 1 Abs. 1 LBO (sicherheitsrechtliche Generalklausel),  § 15 LBO (Brandschutz), § 16 LBO (Verkehrssicherheit), § 35 LBO (Wohnungen) und 39 LBO (Barrierefreie Anlagen) umgesetzt, wenn bauliche Anlagen im Ganzen und in ihren Teilen entsprechend den technischen Regeln bezüglich der Sicherheit und Barrierefreiheit bei der Nutzung gemäß dem Abschnitt A 4.2 der VwV TB Technische Baubestimmungen entworfen und ausgeführt werden.

Technische Baubestimmungen:
Bis 31.12.2017 war die Anwendbarkeit der TB in Art. 3 Abs. 3 LBO geregelt; seit Dezember 2017 in einer Verordnung auf der Grundlage von § 73a LBO, der VwV TB.

Die Technischen Baubestimmungen sind danach zu beachten. Von den Planungs-, Bemessungs- und Ausführungsregeln kann nur abgewichen werden, wenn mit einer anderen
Lösung im gleichen Ausmaß die Anforderungen erfüllt werden und die TB dies nicht ausschließen. Die VwV TB ist seit 01.01.2018 in Kraft.

Die VwV TB konkretisiert die in der baden-württembergischen Landesbauordnung (LBO) verankerten Grundanforderungen an bauliche Anlagen, Bauprodukte und andere Anlagen und Einrichtungen. Sie umfasst Regeln zur Standsicherheit baulicher Anlagen sowie zum Brandschutz, zum Wärmeschutz, zum Schallschutz, zum Gesundheitsschutz, zum Umweltschutz und zu den Planungsgrundlagen. Die Technischen Baubestimmungen müssen von allen am Bau beteiligten Personen bei der Planung, Berechnung, Ausführung und baurechtlichen Überprüfung von baulichen Anlagen beachtet werden. Sie sollen sicherstellen, dass bauliche Anlagen so angeordnet, errichtet und instandgehalten werden, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, zu keiner Zeit gefährdet werden.

Im Hinblick auf die hier interessierende- Barrierefreiheit sind folgende Technischen Baubestimmungen eingeführt:




Planung und Errichtung von Wohngebäuden

In § 35 Abs.1 LBO wird geregelt, dass in Wohngebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein müssen. Wohngebäude im Sinne dieser Vorschrift sind reine Wohngebäude; die Existenz auch nur einer Gewerbeeinheit (Kiosk, Laden, Kneipe) beispielsweise im EG beseitigt die Anwendbarkeit des § 35 LBO!

Wenn jedoch ein Wohngebäude nach § 39 LBO vorliegt, bedeutet dies,  dass die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad und die Küche oder Kochnische barrierefrei nutzbar und mit dem Rollstuhl zugänglich sein müssen. § 35 regelt besondere Anforderungen an Wohnungen. Nach Abs. 1 müssen in Wohngebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschoßes barrierefrei erreichbar  und ausgebaut ein, es  sei denn, dies wäre mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden. Die Regelung des § 35 fordern nicht, die betreffenden Wohnungen komplett nach anerkannten Regeln der Technik, z. B. in allen Bereichen und mit allen Ausstattungen barrierefrei zu gestalten. Die verwendeten Begriffe „barrierefrei erreichbar“ und „mit dem Rollstuhl zugänglich“ sind auslegungsbedürftig und werden über die VwV TB konkretisiert.

Dies gilt nach § 35 Abs. 1 Satz 3 LBO allerdings bereits nicht, soweit die Anforderungen insbesondere wegen schwieriger Geländeverhältnisse, wegen des Einbaus eines sonst nicht erforderlichen Aufzugs oder wegen ungünstiger vorhandener Bebauung nur mit unverhältnismäßigem Mehraufwand erfüllt werden können.

Hinzu kommt, dass gemäß § 56 Abs. 2 Nr. 1 LBO zur Modernisierung von Wohnungen und Wohngebäuden, Teilung von Wohnungen oder Schaffung von zusätzlichem Wohnraum durch Ausbau, Anbau, Nutzungsänderung, Aufstockung oder Änderung des Daches Abweichungen von § 35 LBO zulässig sind. Auch zur Erhaltung und weiterer Nutzung von Kulturdenkmalen sind nach 56 Abs. 2 Nr.2 LBO Abweichungen von § 35 LBO zuzulassen.


Planung und Errichtung von Barrierefreie Anlagen

Das Bauordnungsrecht fordert Barrierefreiheit vor allem gemäß § 39 LBO,  der mit „Barrierefreie Anlagen“ überschrieben ist.

Der Gesetzgeber strebt eine weitgehend barrierefreie bauliche Umwelt an und trifft  sehr umfassend Regelungen für wesentliche Gebäude bzw. bauliche Bereiche des alltäglichen Lebens. Diese Bereiche sind insgesamt so zu gestalten, dass die möglichst von allen „zweckentsprechend ohne fremde Hilfe“ nutzbar sind.

Ohne Ausnahme sind solche baulichen Anlagen barrierefrei zu erstellen, die überwiegend von Menschen mit Behinderungen oder alten Menschen genutzt werden. Sie müssen von diesen Personen zweckentsprechend ohne fremde Hilfe genutzt werden können, § 39 Abs. 1 LBO.

Weiter ist Barrierefreiheit auch für öffentlich zugängliche Gebäude und Einrichtungen gefordert, die in § 39 Abs.  2 LBO gelistet sind. Für diese Vorhaben sind jedoch dann Ausnahmen möglich, wenn die Anforderung einen unverhältnismäßigen Mehraufwand auslösen würde.

Dieser unverhältnismäßige Mehraufwand liegt regelmäßig bei 20 Prozent der Kosten der Gesamtmaßnahme vor; geringere Mehrkosten können dann ebenfalls unverhältnismäßig sein, wenn durch organisatorische oder andere Maßnahmen bereits weitreichende Barrierefreiheit erreicht wurde.

Nachdem  weder LBO noch AVLBO detaillierte Angaben bzw.  Regelungen enthalten, welche baulichen und gestalterischen Maßnahmen zur Sicherstellung der Barrierefreiheit erforderlich sind, verweist die LBO auf einschlägige DIN-Normen zum Barrierefreien Bauen durch deren Aufnahme in die Liste des Technischen Baubestimmungen, womit diese bauaufsichtlich zur verbindlichen Anwendung eingeführt sind. Dies erfolgt über § 73a LBO. Siehe daneben aber auch die Vorschriften des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.


Aspekte des Baurechts

Das Bauordnungsrecht wendet sich mit den heute geltenden Anforderungen an Neubauten. Bei bestehenden Gebäuden mit unveränderter Nutzung gilt baurechtlicher Bestandsschutz; rechtmäßig bestehende Gebäude können grundsätzlich weiter genutzt werden, wenn dadurch nicht im Einzelfall eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit zu befürchten ist (§ 76 LB0). In diesen Fällen entsteht daher regelmäßig kein Zielkonflikt mit dem Denkmalschutz.

Zielkonflikte ergeben sich dort, wo bestehende Bausubstanz anders genutzt werden soll. Dann sieht das Bauordnungsrecht vor, dass die Nutzungsänderung wie ein Neubau zu bewerten ist. Deswegen sind die Zielkonflikte zwischen Baurecht und Denkmalschutz dort besonders gravierend, wo die geplante neue Nutzung mit der ursprünglichen Nutzung wenig oder gar nichts verbindet.


Fallbeispiele Stufenmarkierung und zweiter Treppen-Handlauf

Von Interesse sind hier Nachrüstungen im Bestand - und diese können  meiner Auffassung durchgesetzt werden, jedenfalls für öffentlich zugängliche Gebäude und andere bauliche Anlagen, die dem § 39 LBO (Barrierefreie Anlagen) unterliegen.

Für Bestandsgebäude lässt der § 76 Abs. 1 LBO eine „Anpassung an neue Vorschriften“ nur zu, wenn Leben oder Gesundheit bedroht sind. Behördenvertreter sagen hier gerne, der Bestand sei „heilig“ und verweisen auf diese Vorschrift. Gerne wird dabei übersehen, das Bauordnungsrecht Sicherheitsrecht ist, die LBO ohnehin nur Mindestanforderungen regelt und bei Treppen tatsächlich Leben oder Gesundheit gefährdet sein können! Auch hier kommt es darauf an, der Behörde die örtlichen Verhältnisse und die daraus entstehenden Gefahren für Gesundheit oder Leben wirklichkeitsnah zu schildern.

Für Bayern gilt Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayBO (Barrierefreie Anlagen), der sagt:

„Bei bestehenden baulichen Anlagen soll die Bauaufsichtsbehörde verlangen, dass ein gleichwertiger Zustand hergestellt wird, wenn das technisch möglich und dem Eigentümer wirtschaftlich zumutbar ist.“

Eine dem vergleichbare Regelung kennt § 39 LBO zwar nicht, dennoch lässt sich über das allgemeine Sicherheitsrecht eine Nachrüstung im Bestand gut begründen, und zwar

- nach § 16 Abs. 1 LBO müssen alle bauliche Anlagen verkehrssicher sein
- nach § 3 Abs. 1 LBO müssen bauliche Anlagen ihrem Zweck entsprechend und ohne Missstände benutzbar sein müssen
- über § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 73a Abs. 1 LBO gelten Technische Baubestimmungen

§ 3 LBO ist sicherheitsrechtliche Generalklausel. Über sie,  § 73a LBO und die Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen (VwV TB) gelangt dann auch die DIN 18040-1, - Öffentlich zugängliche Gebäude - zur Anwendung.

Die DIN 18040-1 sieht solche Stufenmarkierung (Kontraststreifen) auf der ersten und letzten Trittstufe in ihrer Nr. 4.3.6.4 zwingend, um diese beiden wesentlichen Stufen für den Benutzer besser erkennbar zu machen. Dieser Forderung kann sich schlechterdings keine Behörde entziehen, welche diese durch Bescheid gegenüber dem Eigentümer / Besitzer auch durchsetzen kann.

Für den zweiten Handlauf regelt für Bayern Art. 32 Abs. 6 BayBO:

„Treppen müssen einen festen und griffsicheren Handlauf haben. Für Treppen sind Handläufe auf beiden Seiten und bei großer nutzbarer Breite auch Zwischenhandläufe vorzusehen,
in Gebäuden mit mehr als zwei nicht stufenlos erreichbaren Wohnungen
im Übrigen, soweit es die Verkehrssicherheit erfordert.“

§ 10 Abs. 5 LBOAV schreibt nur einen Treppenhandlauf zwingend vor. Eine der bayerischen vergleichbare Regelung kennt die LBO nicht, jedoch ist der zweite Handlauf in  Nr. 4.3.6.3 der DIN 18040-1 für Öffentlich zugängliche Gebäude zwingend vorgesehen. Sie kommt über die Normenkette des § 3 Abs. 1 LBO, § 73a LBO und VwV TB die DIN 18040-1 zur Anwendung.


Fehlende Bauabnahme

Bauabnahmen sieht die LBO grundsätzlich nicht (mehr) vor. Nach § 67 Abs. 1 LBO kann jedoch eine Abnahme bei genehmigungspflichtigen Bauvorhaben in der Baugenehmigung vorgeschrieben werden, wenn es „zur Wirksamkeit der Bauüberwachung erforderlich“ ist. Der generelle Entfall von Bauabnahmen kann dazu führen, dass Architekten,  Bauherren und Handwerker bei der Bauausführung von den Vorgaben der Baugenehmigung abweichen.


Hinweis an Behörden auf mögliche Amtspflichtverletzungen

Als wirkungsvoll erweisen sich schriftliche Hinweise mit Zugangsnachweis auf bauliche Missstände im Bereich der Barrierefreiheit an Baubehörden mit dem Zusatz, dass ein weiteres Hinnehmen dieser Missstände eine Amtspflichtverletzung darstellen könnte (beachte die Möglichkeitsform). Diese Amtspflichtverletzung wäre im konkreten Falle auch schuldhaft, weil der Behörde spätestens ab Zugang dieser Mitteilung offiziell bekannt ist, dass Missstände vorliegen. Jeder vernünftiger Behördenvertreter nimmt einen solchen Brief zum Anlass für einen Ortstermin.

Bürger haben grundsätzlich keinen Anspruch auf behördliches Einschreiten, es sei denn, es würde durch behördliches oder nachbarliches Verhalten eine so genannte drittschützende Norm verletzt, also eine Norm, die nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch mit Blick auf den individuellen Schutz Einzelner erlassen wurde. Beispiel hierfür sind baurechtliche Abstandsflächen. Deshalb können Hinweisschreiben mit Zugangsnachweise den gewünschten Effekt haben, nämlich die Behörde zum Tätigwerden zu veranlassen.


Rechtsanwendung in der denkmalschutzrechtlichen Praxis

Unser Rechtssystem wird von den Verfassungen und den Gesetzen geprägt; Deutschland ist ein Rechtsstaat. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG).

Jedes Kulturdenkmal ist einzigartig und soll als Quelle und Zeugnis menschlicher Geschichte und prägender Bestandteil der Kulturlandschaft für die Nachwelt dauerhaft erhalten und gesichert werden. Ziel muss daher grundsätzlich sein, bei Maßnahmen zur Herstellung der  Barrierefreiheit den Eingriff in das Kulturdenkmal und den Verlust an originaler Denkmalsubstanz auf das unvermeidbare Maß zu beschränken, um den Denkmalwert nicht zu gefährden.


Denkmalfähigkeit und Denkmalwürdigkeit

Die Behörde wird zunächst prüfen, ob die Anlage  (Gebäude oder ein Ensemble) denkmalfähig ist (§ 2 Abs. 1 DSchG BW); dies mag der Fall sein

aus wissenschaftlichen Gründen
aus künstlerischen Gründen
aus heimatgeschichtlichen Gründen.

Anschließend erfolgt die Prüfung, ob die Anlage denkmalwürdig ist, d. h. ob an ihrer Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht. Bei diesem öffentlichen Erhaltungsinteresse handelt es sich um ein (selbständiges) Tatbestandsmerkmal des Denkmalbegriffs. Der VGH BW bejaht ein öffentliches Erhaltungsinteresse regelmäßig dann, wenn die Denkmaleigenschaft und die Notwendigkeit ihrer Erhaltung entweder in das Bewusstsein der Bevölkerung oder mindestens eines breiten Kreises von Sachverständigen eingegangen ist (VG Stuttgart, Urteil vom 18.01.2004, 13 K 1240/14; VGH BW, Beschluss vom 27.05.1993, 1 S 2426/92).

Entscheidend ist dabei, welche Bestandteile des Kulturdenkmals besonders schützenswert sind, insbesondere welche Bestandteile aus überlieferter, originaler und historisch bedeutsamer Substanz bestehen.  Das könnte die Treppe eines Landgasthauses vom EG in den 1. OG sein.


Erhaltungspflicht von Eigentümern und Besitzern

Das VG Stuttgart weist im Urteil vom 18.12.2002 (2 K 2600/00) darauf hin, dass  die Erhaltungspflicht eines Denkmaleigentümers auf das Zumutbare (§ 6 Satz 1 DSchG) begrenzt und die Behörde verpflichtet sei, die öffentlichen Denkmalschutzinteressen und die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, wie es der Grundrechtsschutz des Eigentums verlange (Rd.-Nr. 45; VGH BW Urteil vom  23.07.1990, 1 S 2998/89).


Denkmalschutz ist primär Substanzschutz

Gemäß dem VG Freiburg (Urteil vom 09.07.2009, 4 K 1143/08, Rd.-Nr. 43) ist Denkmalschutz primär Substanzschutz. Eine  fehlende bzw. eingeschränkte Wahrnehmbarkeit der ungenehmigten Baumaßnahmen vom öffentlichen Bereich aus ändere  im Ergebnis an der wesentlichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds des Kulturdenkmals nichts, denn Denkmalschutz ist primär Substanzschutz ( VG Freiburg,  Urteil vom 23.06.2009, 6 K 1697/08; VGH BW, Urteil vom 25.10.1993, 8 S 2851/92) zumal das Gebäude des Klägers in seiner Gesamtheit und nicht nur mit seiner Fassade unter Denkmalschutz steht. Darüber hinaus ist es ausreichend, wenn die baulichen Veränderungen - wie hier - von benachbarten Privatgrundstücken oder von Ober- und Dachgeschossen benachbarter Gebäude oder auch von natürlichen Geländeerhöhungen aus zu sehen sind (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 11.08.2008, Au 5 K 07.1014).


Anordnung von Rückbau und Beseitigung

Das VG Stuttgart lässt in dem Urteil vom 18.12.2002 den Rückbau bzw. der Beseitigung ungenehmigt errichteter  Bauteile zu.  Rechtsgrundlage hierfür sei § 65 LBO i. V .m. § 7 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 DSchG BW. Die denkmalschutzrechtliche Generalklausel umfasse auch die Befugnis, die Beseitigung einer nicht genehmigten und nicht genehmigungsfähigen Beeinträchtigung eines Kulturdenkmals zu dem Zweck anzuordnen, das ursprüngliche Erscheinungsbild wiederherzustellen. Diese denkmalschutzrechtliche Ermächtigung bestehe unabhängig von der Befugnis der Baurechtsbehörde, den Abbruch einer formell und materiell baurechtswidrigen Anlage nach § 65 LBO anzuordnen. Zwischen beiden Rechtsgrundlagen besteht „echte“ Normenkonkurrenz in dem Sinne, dass sich Maßstab und Regelungsinhalt einer Beseitigungsanordnung nach Bauordnungsrecht und nach Denkmalschutzrecht bei formell und materiell rechtswidriger Beeinträchtigung des  Erscheinungsbildes eines Kulturdenkmals teilweise überschneiden.


Denkmalschutzrechtliche Sicherungsanordnung

Der VGH BW hat im Beschluss vom 25.03.2003 (1 S 190/03) zur denkmalrechtlichen Erhaltungspflicht festgestellt, dass Eigentümer und Besitzer von denkmalschützten Gebäuden auch Adressaten von denkmalschutzrechtlichen Sicherungsmaßnahmen sein können (Fall: Schloss Kirchberg in Immenstaat am Bodensee). Hier sagt der VGH BW auch  etwas zu den Bestimmtheitsanforderungen des § 37 Abs. 1 LVwVfG an so genannte Sicherungsanordnungen.

Denkmalschutzrechtliche Sicherungsanordnungen wie im Fall Immenstaad seien dadurch gekennzeichnet, dass sie den Eigentümer verpflichten, innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist bauliche Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen. Angesichts des fortschreitenden Verfalls (des Ostflügels) durch die notdürftige Dachdeckung werde aus der Verfügung hinreichend deutlich, welche Sicherungsmaßnahmen am Dach und den Stuckdecken des Ostflügels von den Wohnungseigentümern verlangt werden.


Materielle Voraussetzungen einer Sicherungsanordnung

In materieller Hinsicht lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die angefochtene Verfügung voraussichtlich vor. Der Ostflügel des Schlosses sei  Bestandteil der Sachgesamtheit, die als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch eingetragen ist (§ 12 Abs. 1 DSchG). Als Denkmal sei es der staatlichen Schutzaufgabe nach § 1 Abs. 1 DSchG unterstellt. Danach ist es Aufgabe von Denkmalschutz und Denkmalpflege, die Kulturdenkmale zu schützen und zu pflegen, insbesondere den Zustand der Kulturdenkmale zu überwachen sowie auf die Abwendung von Gefährdungen und die  Bergung von Kulturdenkmalen hinzuwirken. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben des Denkmalschutzes enthält § 7 Abs. 1 DSchG eine generelle Handlungsermächtigung, um geeignete Maßnahmen zu treffen. Kern dieser Aufgabenstellung ist die Erhaltung der originalen Substanz der Kulturdenkmale durch Schutz- und Pflegemaßnahmen sowie Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Durch § 7 Abs. 1 DSchG gedeckt sind regelmäßig Abdichtungen des Daches zur Verhinderung von Witterungsschäden, die die Originalsubstanz des Kulturdenkmals zu gefährden drohen.


Prüfung von Alternativen in jedem Einzelfall

Soweit ein Eingriff in denkmalwerte Substanz unumgänglich sein sollte, um dem Belang der Barrierefreiheit ausreichend Rechnung zu tragen, sind auch Alternativen zu prüfen, die sich rückgängig machen lassen, und unumkehrbaren Maßnahmen gegenüber grundsätzlich vorzuziehen, um dem Kulturdenkmal auch in der veränderten Form seinen Denkmalwert möglichst zu bewahren.

Bei Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit ist zudem auf eine weitestgehende Erhaltung des historischen Erscheinungsbildes des Kulturdenkmals zu achten, um eine optimale und ausgewogene Lösung zu erreichen. So können Maßnahmen im Inneren eines Gebäudes oder in nicht einsehbaren Bereichen denkmalverträglicher sein als Maßnahmen an der Außenhülle, erstere sind dann letzteren vorzuziehen. In jedem Fall sollte eine der Bedeutung des Kulturdenkmals angemessene gestalterische und ästhetische Lösung angestrebt werden.

Es muss also stets im Einzelfall geprüft werden, welche Auswirkung eine Maßnahme auf ein Kulturdenkmal als solches hat. Um die Belange der Barrierefreiheit und des Denkmalschutzes sachgerecht miteinander zu vereinbaren, muss der Eingriff am Kulturdenkmal mit der angestrebten Verbesserung der Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung in ein beiden Belangen angemessenes Verhältnis gebracht werden.


Grenzen des Ausgleichs unterschiedlicher Belange

Im Einzelfall kann eine sorgfältige Abwägung dazu führen, dass es die Belange von Menschen mit Behinderungen erfordern, irreversible Verluste der Denkmalsubstanz und des Denkmalwertes bis hin zum Verlust der Denkmaleigenschaft zu genehmigen. Sie kann freilich auch dazu führen, dass die Herstellung der Barrierefreiheit angesichts der Bedeutung des Denkmals unterbleiben muss.

Damit ist der konkrete Entscheidungsvorgang für die Denkmalschutzbehörden zwar abgeschlossen. Öffentliche Eigentümer von Kulturdenkmalen werden dann aber im Einzelfall - zur Vermeidung einer Benachteiligung wegen einer Behinderung - noch zu prüfen haben,  ob und wie gegebenenfalls dennoch durch geeignete Maßnahmen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen, gewährleistet werden kann, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten ausüben können.


Zum Stichwort: „reversibel“

Wenn es gelingt, der Behörde zu vermitteln, dass die mit der gewünschten Maßnahme zur Barrierefreiheit verbundenen Eingriffe reversibel sind und eben gerade keine endgültigen (irreversiblen) oder nur geringfügige Eingriffe in die Substanz in Rede  stehen, dann hat der Antragsteller schon viel erreicht.


Schlussbemerkung

Behördenvertreter sind per se auf die Beachtung von Recht und Gesetz eingestellt. Ein - weiterer -  Hinweis auf die Wertungsentscheidungen in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 2b LV und die behördliche Pflicht zur aktiven Förderungen der Ziele des § 1 l-BGG mag dazu führen,  dass Behörden diese denn auch in ihre Abwägung mit anderen Belangen nach § 40 LVwVfG bewusst einstellen.

Es schadet so gut wie nie der Hinweis, dass viele Aspekte der Barrierefreiheit zugleich Sicherheitsaspekte sind, die im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren und bei der Prüfung von behördlichem Einschreiten nicht für weniger, sondern für mehr  Sicherheit sprechen.



Quellen:
LBO Baden-Württemberg und LBOAVO
„Vorschriften zur Barrierefreiheit“, Merkblatt Nr. 61, Architektenkammer Baden-Württemberg
„Barrierearmes Kulturdenkmal“, Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg
„Barrierefreies Bauen in öffentlichen zugänglichen Gebäuden und Wohnungen“ Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg
VwV TB, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, Baden-Württemberg und Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau, Baden-Württemberg



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Verwaltungsgericht Augsburg stoppt Regelungswut bayerischer Großstadt, deren Ordnungsbehörde Bürger mit rechtswidrigen Auflagen in  § 33i GewO-Bescheiden belasten wollte …


Die Regelungswut der Ordnungsbehörde einer bayerischen Großstadt wurde jetzt vom Verwaltungsgericht Augsburg ausgebremst. Die neueste juristische Fehlleistung dieser Behörde bestand darin, Auflagen aus dem  glückspielrechtlichen Erlaubnisbescheid  sinn- und wortgleich 1:1 dazu parallel auch in  den gewerberechtlichen Bescheid nach § 33i GewO aufzunehmen. Diese Auflagen sollte, dachte sich übereifrige Sachbearbeiter im § 33 i GewO-Bescheid quasi eine „Verewigung“ erfahren, während der Glücksspielstaatsvertrag 2021 bekanntlich ausläuft ….


Der Sachbearbeiter verfügte typische, dem  Spieler- und Jugendschutz dienende Auflagen also nicht nur im glücksspielrechtlichen Bescheid nach § 24 Erster GlüÄndStV, Art. 9 AGGlüStV (wo das auch hingehört), sondern zusätzlich parallel im gewerberechtlichen Bescheid nach § 33i GewO. Bekanntlich bedarf ein Spielhallenbetreiber neben der Baugenehmigung, der glücksspielrechtlichen Erlaubnis auch einer gewerberechtlichen Erlaubnis nach § 33i GewO. Diesen Umstand wollte sich der sich der gutbezahlte, aber juristisch nur unzureichend gebildete Mitarbeiter nutzen.

Das Verwaltungsgericht Augsburg gab dem Unterzeichner jedoch darin Recht, dass Auflagen in einem Genehmigungsbescheid nach § 33i GewO  nur dann rechtmäßig sind, wenn sie dem Regelungsgehalt des § 33i GewO zugerechnet werden können.

Die im Zuge der Föderalismusreform von 2006 erfolgte Übertragung des Rechts der Spielhallen auf die Bundesländer im Zuge der  auf die Bundesländer, habe dies dazu geführt, so das Augsburger Verwaltungsgericht,  de dazu geführt hat, dass das Recht der Spielhallen auf die Bundesländer übergegangen ist, verwehrt Art. 125a GG den Ländern und Behörden, glücksspielrechtlich motivierte Auflagen in gewerberechtlichen Bescheiden zu regeln. Es handele sich ansonsten um eine „verfassungswidrige Mischlage“.

Das VG Augsburg gab der Spielhallenbetreiberin und dem Unterzeichner im Urteil vom 03.05.2018 nunmehr vollständig und allumfassend recht. Die Entscheidung finden Sie unter Au 5 K 18.16 und Au 5 K 18.17.